"Die aktuelle Situation des Automatengewerbes in Moabit ist alarmierend."

Veröffentlicht am 31.08.2010 in Wirtschaft

"Die aktuelle Situation des Automatengewerbes in Moabit ist alarmierend." - Interview mit Martina Matischok zum Thema Spielhalle

 

In einem Interview erklärte Martina Matischok die Position der SPD und Handlungsmöglichkeiten zur Spielhallenplage in Mitte und insbesondere in Moabit. Martina Matischok ist Bezirksverordnete der SPD, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung und Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit. Die Fragen stellte Patrick Giebel vom Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin.

Frage: Wie schätzen Sie die aktuelle Situation des Automatengewerbes in Moabit ein? Wie verhält es sich für Gesamt-Berlin bzw. im Vergleich zu anderen Bezirken?

Martina Matischok: Die aktuelle Situation des Automatengewerbes in Moabit ist alarmierend.

Es ist zu konstatieren, dass gerade in sozial schwächeren Regionen ein Zuwachs an Spielhallen zu verzeichnen ist. Dies liegt daran, dass Menschen, deren finanzielles Auskommen eher an der unteren Einkommensgrenze angesiedelt ist, vom großem Geldgewinn träumen. Viele spielen Lotto, andere gehen in Spielhallen. Im Zeitalter der Spielkonsolen und des Internets sind virtuelle Spiele eine mittlerweile normale Freizeitbeschäftigung. Viele Jugendliche verbringen entsprechend viel Zeit damit. Sie werden dadurch auch an die Möglichkeit der Geldgewinnspiele herangeführt und nutzen diese leider allzu oft. Es entsteht bei SpielerInnen aller Altersgruppen oftmals ein "Abhängigkeits"kreislauf, wer verliert, muss weiter spielen, irgendwann kommt der große Gewinn, Sucht entsteht. Verständlich, dass sich Spielhallen da ansiedeln, wo potentielle Nutzer wohnen.

39 Spielhallen wurden 2008 in Mitte gezählt. Nach der Bewertung der Lage des Bezirkes Mitte durch das Landeskriminalamt (LKA) sind derzeit 75 Spielhallen registriert (Stand: Februar 2010), dazu kommen 44 angemeldete Wettbüros. Die Zahl der sonstigen und nicht registrierten Spielstätten wird vom LKA auf ca. 150 geschätzt. Weitere Spielhallen sind beantragt. Besonders in den sozial benachteiligten Bezirken ist die Gefährdung durch den Anstieg durch Spielhallen extrem. Entsprechend sind Bezirke wie Mitte und Neukölln besonders von der derzeitigen Entwicklung betroffen. Die Spielhallenentwicklung ist allerdings auf Markterweiterung ausgelegt, so dass wir es hiermit mit einem gesamtstädtischen Problem zu tun haben. Wenn der Spielhallenboom nicht ausgebremst wird, werden alle Bezirke gleichermaßen betroffen sein. Ich hoffe, aber dass es nicht soweit kommt und dieser Entwicklung entgegen gewirkt wird.

Frage: Was sind Faktoren die Spielhallen hier begünstigen?

Martina Matischok: Faktoren, die Spielhallen in diesen Regionen begünstigen sind

  • die Einkommenssituation (siehe oben Träume vom "großem" Geld / Realitätsverlust)
  • hohe Rate der Arbeitslosigkeit (Tagesfreizeit / Perspektivlosigkeit)
  • wenig bis gar kein sicht- bzw. hörbarer Widerstand aus dem Wohnumfeld, obwohl sich die AnwohnerInnen erheblich gestört, verunsichert und teils ängstlich im Umfeld von Spielhallen fühlen. In Gegenden mit höherem Ambiente ist mit Widerstand u. a. seitens der AnwohnerInnen und Gewerbetreibenden zu rechnen
  • wenig Angebote zur Freizeitgestaltung
  • fehlende Präventions-, Beratungseinrichtungen direkt vor Ort
  • lasche Betreibungsvoraussetzungen
  • keine fachliche Qualifikation nötig

Frage: Welche Arten von Spielhallen würden Sie unterscheiden?

Martina Matischok: Es gibt grundsätzlich verschiedene Arten von Spielhallen:

  • Spielstätten als Automatenspielbereich in den staatlichen Casinos
  • Spielstätten, die organisiert u. a. der AWI (Automaten-Wirtschaftsverbände-Info GmbH) angehören. Selbst auferlegte Kriterien sind einzuhalten u. a. zum SpielerInnenschutz (Prävention), zur Vermeidung von Geldwäsche (verplompte Automaten)
  • Spielhallen, die im Bereich der Kriminalität anzusiedeln sind (u. a. Geldwaschanlagen) / oft Spielhallenketten
  • Sonstige Spielhallen / meist einzelne Hallen, eines Unternehmers
  • Sonstige Aufstellorte von Spielgeräten z. B. Lokalitäten, Geschäfte, Vereinshäuser
  • Auch Internetcafes können verdeckte Spielhallen sein, da hier das Angebot an Onlinespielen verstärkt wahrgenommen werden kann.

Es ist dabei unabhängig zu betrachten, ob es sich um Geldspielgeräte oder Videospiele ohne Gewinnmöglichkeit handelt. Zur Sucht können beide Angebote führen. Allerdings sind die Nebenwirkungen bei Geldgewinnspielen und die kriminellen Nebenerscheinungen höher. Differenziert muss betrachtet werden, dass es nicht darum geht, jede Spielhalle zu verhindern. So werden beispielsweise die Betriebsstätten, die unter dem Dachverband der AWI organisiert sind ,von den Verbänden kontrolliert und bewertet. Darüber hinaus wird dem Betreiber ein Sozialkonzept und eine Beratungsmöglichkeit zur Hilfe bei problematischem Spielverhalten geboten.Die in den Verbänden organisierten Betreiber können auch
Ausbildungsplätze zur Ausbildung zur Fachkraft für Automatenservice anbieten.

Spielhallen, in denen ausschließlich Automatenspiel angeboten wird, werden häufig mit Spielbanken verwechselt. Spielbanken sind in Deutschland jedoch im Gegensatz zu Spielhallen immer staatlich konzessioniert, öffentlich überwacht, seitens der Steuerbehörden kontrolliert und haben deutlich höhere Gewinnauszahlungsquoten.

Frage: Wie stark ist der Einfluss von Betreiberketten?

Martina Matischok: Zur Stellung von Betreiberketten am Markt liegen keine spezifischen Erkenntnisse vor.

Frage: Wie stellt sich die Antragssituation dar?

Martina Matischok: Dutzende neue Projekte sind in Berlin-Mitte und stadtweit beantragt, die Gründungsabsichten sind unverändert stark.

Frage:

Was sind die Gründe des aktuellen Booms?

Martina Matischok: Der Zugang wurde durch den Glücksspielstaatsvertrag erleichtert, Landesgesetzgebungen zur Regulierung fehlen. Die Gewinnspanne für die Betreiber durch die Verluste der SpielerInnen ist groß. Entsprechend nachvollziehbar ist das Interesse Spielhallen zu eröffnen. Nicht explizit nachweisbar ist die Tatsache, dass in Spielhallen Gelder aus kriminalitätsnahen Quellen in Verkehr gebracht werden. Ein Zusammenhang zwischen der umfassenden Illegalisierung des nicht staatlichen Glücksspiels in Rußland und den verstärkten Gründungsbestrebungen in Berlin ist noch nicht festzustellen.

Frage: Was sind positive Auswirkungen von Spielhallen?

Martina Matischok: Es sind keinerlei positiven Auswirkungen erkennbar. Weder beleben die angemieteten Räumlichkeiten das Straßenbild, noch tragen sie zur gesamtwirtschaftlichen Nahversorgung bei. Es findet keinerlei Wertschöpfung statt.

Frage: Was sind räumliche Auswirkungen? Welche Störpotenziale gehen von Spielhallen aus? Bewirken Automatencasinos einen Trading-Down-Effekt?

Martina Matischok: Spielhallen verdrängen Handwerk und Gewerbe. Geschäftsstraßen und Nebenstraßen wirken durch die vorgeschriebene Einblickverhinderung an Spielhallen verschandelt, BewohnerInnen werden verunsichert.

Es besteht eine Symbiose zwischen Stadtgestaltung, Nutzung des Stadtraumes und der Einzelhandelsentwicklung. Bestimmte Betriebsarten u. a. Spielhallen haben daher direkte Auswirkungen auf die Attraktivität des Stadtgebiets. Spielhallen sind auf Grund der Nebenerscheinungen z.B. Kriminalität, Sucht- und Jugendgefährdung und wirtschaftlicher Undurchsichtigkeit negativ besetzt. Der Einzelhandel und das Handwerk wird städtebaulich und wirtschaftlich bedroht und weicht, um sich an attraktiveren Orten anzusiedeln bzw. werden in die gänzliche Geschäftsaufgabe durch Konkurs gedrängt. Aber auch das unmittelbare Wohnumfeld wird direkt beeinflusst, die Qualität dieser Wohngebiete sinkt. Weitere Störpotentiale von Spielhallen sind u. a. die Beeinflussung von Jugendlichen und Kindern durch deren Ansiedlung in der Nähe von Jugendeinrichtungen und Schule.

Frage: Was sind wirtschaftliche Auswirkungen? Welche wirtschaftliche Stärke geht vom Automatengewerbe aus? Welche (finanzielle) Rolle spielen sie für die Stadt / Bezirk? Finden durch Spielhallen Verdrängungseffekte statt?

Martina Matischok: Auf die Verdrängungseffekte wurde schon in der Frage zuvor eingegangen. Allerdings lohnt es sich bei der Wichtigkeit des Verdrängungseffekts durch Spielhallen noch mal darauf einzugehen.

Die Ansiedlung von in Spielhallen bedingt durch die derzeitige Entwicklung hat Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Leider sind die Auswirkungen negativ, der Trend geht zur weiteren unaufhaltsamen Abwärtsspirale ganzer Regionen. In der Nähe von Spielhallen könnte es eines Tages keinen Einzelhandel, kein Handwerk mehr geben, allerdings eine Vielzahl von Kneipen, Imbissbuden, Billigläden sowie Leerstand von Gewerberaum, sofern nicht durch eine der vorgenannten Betriebsarten genutzt.
Die Einnahmen der SPIELBANK BERLIN werden täglich unter Aufsicht von Finanzbeamten gezählt. 80 Prozent der Summe gehen an den Finanzsenator. Von der zusätzlichen fünfprozentigen Sonderabgabe fließen vier Prozent an die Lottostiftung, die mit diesen Geldern Kultur und Sport in Berlin unterstützt.

Frage: Wie schätzen Sie die Situation des illegalen Glücksspiels (in Moabit) ein?

Martina Matischok: Die Dunkelziffer das illegale Glücksspiel betreffend ist mit Sicherheit um ein Vielfaches höher als zur Zeit zu erahnen ist und wird daher von mir als extrem prekär eingeschätzt mit der Tendenz eines stetigen Wachstums.

Frage: Inwiefern wirken sich Spielhallen auf die Sicherheit aus?

Martina Matischok: Im Jahr 2009 erfolgten im Bezirk Mitte 101 Kontrollen von Spielstätten. Dabei wurden 39 Straftaten wegen illegalen Glücksspiels und 144 Zuwiderhandlungen gegen das Spielrecht festgestellt, 12 Raubüberfälle auf Spielstätten und Wettbüros wurden in Mitte verzeichnet. Dies ist mehr als nur Besorgnis erregend.

Darüber hinaus wird die Spielsucht zur großen Gefahr in Mitte. Verschuldung, Verarmung sind weitere Folgen in der sozialen Spirale nach unten. Das Sicherheitsempfinden der AnwohnerInnen und der dort ansässigen Gewerbetreibenden ist um ein Vielfaches zurückgegangen, oft bestehen Ängste. Dies nicht nur alleine auf Grund der Straftatbestände, die die Kriminalitätstatistik an Daten im Zusammenhang mit Spielhallen aufweist. Die Sicherheit und Ordnung in den betroffenen Gebieten ist erheblich gefährdet.

Frage: Wie sollte mit Spielhallen umgegangen werden?

Martina Matischok: Mehr Kontrollen durch die entsprechenden Dienststellen (Polizei, Ordnungsamt, Wirtschaftsamt), Prüfung der Einhaltung der gesetzlichen Erfordernisse bzw. Auflagen. Höhere Vergabe von Bußgeldern bei Verstößen. Tiefer gehende Prüfung der fachlichen und persönlichen Eignung des Spielhallenbetreibers, ggf. Versagung der Gewerbeerlaubnis.

Frage: Welche Strategien der Steuerung gibt es bislang?

Martina Matischok: Die Möglichkeiten der Regulierung des gewerblichen Spielrechts basieren auf dem Gewerbe- und Ordnungsrecht sowie dem Baurecht. Das gewerbliche Recht prüft die Eignung des Betreibers. Darüber hinaus werden Kontrollen insbesondere zur Einhaltung des Jugendschutzes sowie der Anzahl der Spielgeräte durch geführt. Nach dem Baurecht können durch Bebauungspläne Festlegungen zu Gebietstypen und die Nutzungsmöglichkeit in den Gebieten getroffen werden.

Frage: Welche Steuerungen sind darüber hinaus notwendig bzw. wünschenswert?

Martina Matischok: Eine Möglichkeit der Regulierung ist das Spielhallengesetz, welches auf Grund der Förderalismusreform durch den Landesgesetzgeber erlassen werden kann. Eine weitere Möglichkeit ist der Erlass einer Vergnügungsstättensatzung, welche bereits seit Jahren in Stuttgart besteht. In dieser Satzung ist geregelt, dass das Abrutschen von Straßenzügen oder von Stadtteilen durch die Versagung von Spielstätten verhindert werden kann. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat zuletzt im März 2010 die Versagungen der Stadt zu Recht bestätigt.

Eine weitere Möglichkeit der Regulierung besteht durch die Vergnügungssteuer. Diese Steuer kann mit dem Ziel der Lenkungsfunktion erhöht werden. Der Ausbau der Beratungsangeboten ist daneben dringend erforderlich. Da wo sich viele Spielhallen ansiedeln, muss es auch Beratungsangebote geben durch feste Einrichtungen, ggf. aber auch durch entsprechendes Streetworking. Zur Zeit wird die Verordnung über Spielgeräte und andere Spiele mit Gewinnmöglichkeit (SpielV) vom Bund evaluiert. Es ist zu hoffen, dass Steuerungsmöglichkeiten mit der zu erwartenden Novellierung in die Spielverordnung aufgenommen werden, um dem Trend der Spielhallenausbreitung entgegen wirken zu können. Eine Bundesratsinitiative zur Verschärfung des gewerblichen Spielrechts könnte von Berlin ausgehend initiiert werden.

Weitere Initiativen zur Steuerung wird die SPD-Fraktion der BVV Mitte in die
Bezirksverordnetenversammlung am 16. September 2010 einbringen.

Weiterführende Hinweise:

 

Das Interview wurde im August 2010 geführt und wird wegen weiterer Aktualität zum Thema Spielhallen auf unserer Seite dokumentiert.

 
 

E-Mail-Abo

Bitte Mail-Adresse eingeben: