„Arbeit bewegt Berlin“ – Besuch von drei Integrationsbetrieben

Veröffentlicht am 10.11.2016 in Fraktion

„Der Paritätische“, die Landes-Arbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen, die Berliner Werkstatträte, die Landes-Arbeitsgemeinschaft der Integrations-Firmen und die Landes-Arbeitsgemeinschaft der Integrations-Fachdienste hatten am 8.11.16 zu einer Fahrt zu drei Betrieben in Mitte und Weißensee geladen. Los ging es um neun Uhr vor dem Abgeordnetenhaus. Schon der gecharterte Bus war ein Hingucker: der Fahrer fuhr eine kleine Hebebühne an der Seite aus, Ulrike Pohl (Referentin beim Paritätischen für Menschen mit Behinderung und selbst Rolli-Fahrerin) konnte so bequem und gefahrlos in den Bus gelangen. Auch wenn der Bus nur Platz für eine*n Rollifahrer*in bietet: tolle Sache!

Leider waren bei Weitem nicht die angemeldeten 22 Teilnehmer*innen an Bord, was aber der Stimmung keinen Abbruch tat. Erste Station war die Werkstatt für behinderte Menschen „faktura gGmbH“ in der Rungestraße 17 mitten in Mitte. Dort stießen dann doch noch ein paar Angemeldete zu uns, so dass wir eine Gruppe von etwa 15 Personen waren. Schade – dieses Programm hätte deutlich mehr Zuspruch verdient. Aus der Politik waren lediglich die FDP-Abgeordnetenhausfraktion mit ihrem „Behinderten-Sprecher“ und die SPD-Fraktion in der BVV Mitte durch Stefan Draeger vertreten.

„faktura“ schreibt über sich selbst auf der Homepage:

„In unserer Werkstatt finden Menschen, die in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sind, ein ruhiges, entspanntes und anregendes Arbeitsumfeld für ihre berufliche Rehabilitation. Unsere Produkte sind nachhaltig und umweltverträglich gefertigt. Wir freuen uns auf Ihr Interesse an unseren kreativen, handwerklichen, gastronomischen und technischen Dienstleistungen.“

Einiges davon konnten wir in dem wunderschönen alten Produktionsgebäude begutachten, nachdem wir über einen kleinen Hof zum hinteren Gebäudeflügel gelangt waren. Die Werkstätten befinden sich im zweiten und dritten Stock. Zunächst ging es in die Filz-Fabrikation. Dort werden Filzbahnen nach eigenen Mustern bedruckt, zugeschnitten und an die Manufaktur gleich nebenan weitergeleitet, wo Taschen, Fahrradsättel und vieles andere mehr entstehen. Verkauft werden die Produkte über den eigenen Online-Shop, auf Weihnachtsmärkten – weitere Partner für den Vertrieb werden gesucht, auch wenn man sich der Konkurrenz-Situation bewusst ist. Ein zweites Standbein ist die Auftragsproduktion für kleinere Mode-Label.

In ein paar Räumen weiter standen mehrere Menschen in Kitteln und mit Haarnetzen an einem Tisch und walkten die zuckrige Masse, aus der Bonbons, Lollis usw. entstehen sollen. Durch mehrlagige Farbschichten entstehen interessante Muster. Man produziert auch Werbeartikel im Auftrag von Firmen, so dass z.B. das Logo einer Bank in der Mitte eines Bonbons erscheint. Es roch lecker und wir konnten eines der kleinen Meisterwerke vor Ort verkosten. Mh, lecker.

Am Ende des Ganges kamen wir in die Malerwerkstatt, die an diesem Tage verwaist war, weil alle Mitarbeiter*innen irgendwo in Berlin Aufträge ausführte. Es gibt gute Kontakte z.B. zu Seniorenheimen, Krankenhäusern, Kinos, die immer wieder „faktura“ beauftragen.

Immer wieder kam es zu Diskussionen um das geplante Bundes-Teilhabe-Gesetz – meist wurden diverse Dinge, die fehlen oder Situationen verschlimmbessern kritisiert. Alle waren sich in den Vorbehalten einig.

Nächste Station waren die „WIB – Weißenseer Intergrationsbetriebe GmbH“ in der Charlottenburger Straße in Weißensee. Schwerpunkt des Vortrags einiger Mitarbeiter*innen waren die Angebote der Berliner Integrationsbachdienste und speziell des „IFD fhM“ (für hörbehinderte Menschen): diese reichen vom Jobcoaching über Schulungsangebote bis zur Technischen Beratung (sowohl der behinderten Menschen als auch der potentiellen Arbeitgeber*innen). Anhand von Fallbeispielen wurden Probleme und Chancen dargestellt. Sehr interessant. Ich muss gestehen, dass ich weder von „Integrationsfachdiensten“ noch von deren Hilfsmaßnahmen je etwas gehört hatte (obwohl ich selbst zu „hörbehinderten“ Menschen gehöre). Kommunikation ist oberstes Gebot und in der Diskussion wurde klar, dass es da deutlichen Optimierungsbedarf gibt.

Interessant auch die Ausführungen zu psychosozialer Beratung, behindertenangepasster Arbeitsplatzgestaltung, dem Betrieblichen Eingliederungsmanagement und Finanziellen Förderungen. Der WIB ist auch in Mitte tätig. Spannender Einblick in Tätigkeiten und Schicksale, die man so meist gar nicht wahrnimmt.

Weiter ging’s zum Café Konzerthaus am Gendarmenmarkt – betrieben durch die Integrationsfirma „Mosaik“. War mir auch nicht bekannt, dass das Café ein Integrationsprojekt ist. Der Geschäftsführer des Mosaik-Unternehmensverbundes (der in der Ifflandstraße 12 seinen Sitz hat – auch Mitte!) erläuterte die Projekte seiner Firma und lud zu einem Lunch vor Ort. Währenddessen erläuterte Herr Hotte vom Integrationsamt Berlin (LaGeSo) die Verwendung der Ausgleichsabgaben und deren Entwicklung in den letzten Jahren. Ähnlich wie beim Länderfinanzausgleich gibt es auch hier Geber- und Nehmerländer. Bis 2015 war Berlin Nehmerland, in diesem Jahr sind die Einnahmen nahezu explodiert und Berlin damit zum Geberland geworden (es müssen 3 Millionen € abgegeben werden). Bei diesem Thema wohnen bei den Anwesenden zwei Seelen in einer Brust: einerseits möchte man lieber Arbeitsplätze für behinderte Menschen statt der Strafzahlungen, andererseits können mit den Einnahmen nützliche Projekte unterstützt und finanziert werden.

Frau Pohl vom Paritätischen hatte zu Beginn der Fahrt die Zahlen des Arbeitsmarktes für behinderte Menschen referiert: so ist der prozentuale Anteil der arbeitslos gemeldeten Menschen in Berlin deutlich höher als der der nichtbehinderten. Daran lasse sich erkennen, dass es noch erheblicher Anstrengungen aller Beteiligten bedürfe – aufgerufen sind einerseits potentielle Arbeitgeber*innen, aber auch Jobcenter und Integrationsdienste.

Insgesamt ein äußerst interessanter Tag. Für die Folgeveranstaltungen sollte überlegt werden, diese in die späten Nachmittagsstunden zu legen, damit auch Berufstätige (aus der Politik) daran teilnehmen können. Außerdem ist es dringend notwendig, das Netzwerk in Politik und Gesellschaft auszubauen, um die Angebote einem bereiteren Publikum näher zu bringen. Schließlich kann es uns alle treffen – was ich natürlich nicht hoffe - , aber es ist der Sache bestimmt dienlich, wenn man schon „vorher“ Bescheid weiß oder im Bekannten- und Freundeskreis Tipps geben kann.

Wir werden überlegen, wie wir uns über die Fraktion hinaus für die Anliegen der behinderten Menschen engagieren können.

Stefan Draeger, 9.11.16

 

 

 
 

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