Sportvereine als Bindeglied im Kiez

Veröffentlicht am 26.06.2014 in Sport

Sportvereine als Bindeglied im Kiez

Die SPD – Fraktion der BVV Mitte, vertreten durch die Organisatorin der Veranstaltung Janina Körper, sowie die Mitglieder der Fraktion Regina Schilf, Aliye Stracke-Gönül und Martina Matischok besuchten am 14.06.2014 den Sportverein Norden-Nordwest 1898 (NNW) in der Behmstraße am Gesundbrunnen. Verstärkt wurde die Fraktionsdelegation durch Sabine Smentek (Bezirksstadträtin für Jugend, Schule, Sport und Facility Management) und aus der Anliegerabteilung (15. Abt) durch den Vorsitzenden Kosmas Zittel, Maja Lasic und weiteren Abteilungsmitgliedern.

Vor Ort im Gespräch mit dem 1. Vorsitzenden Ingo Böttcher und dem Geschäftsführer / Schiedsrichter-Obmann Josef Baum erfuhren wir viel Interessantes über den Verein selbst, aber auch über die Probleme, mit denen sich Vereine in der heutigen Zeit generell konfrontiert sehen.Nach kurzer Besichtigung der Sportstätte im Innen- und Außenbereich konnte in lockerer Gesprächsatmosphäre über Fußball, die Mannschaften und das Vereinsleben gesprochen werden. Der SV Norden-Nordwest 1898 ist ein laut Statistik der AG Sport in Mitte e. V. 650 Mitglieder starker Fußballverein. Bereinigt kommt der Verein auf rund 450 tatsächliche Mitglieder. Auf dem Spielfeld von NNW mit einer Fläche von 100 x 65 m mit Kunstrasen und Beleuchtung können bis zu 2.000 Zuschauer und Zuschauerinnen die Spieler anfeuern. Daneben gibt es ein weiteres Großspielfeld mit den Maßen 93 x 60 m, die sogenannte „Kokswiese“, ebenfalls mit Kunstrasen und Beleuchtung und Platz für 1.000 Zuschauer und Zuschauerinnen. Der Verein hat derzeit nur Mannschaften – also lediglich männliche Teams -, nachdem vor vielen Jahren das Frauenteam aufgelöst werden musste. Es besteht allerdings Interesse daran, wieder ein neues Frauenteam aufzustellen.

Der NNW wird dieses Jahr am 26. und 27. Juli um den Bürgermeisterpokal spielen. Initiiert wurde dies durch den Vorstand des Vereins. Von 14 angeschriebenen Mannschaften aus Mitte haben acht Mannschaften zugesagt. Mitglieder der SPD – Fraktion werden vor Ort den Spielen folgen. Wir werden Akquise betreiben, um aus privaten Spendengeldern dafür sorgen zu können, dass acht Bälle zusätzlich zu den von der AG Sport in Mitte e. V. gespendeten Pokalen an die teilnehmenden Mannschaften ausgereicht werden. Vier Bälle sind bereits gesichert. So übernimmt die SPD – Fraktion der BVV – Mitte die Kosten für einen Ball aus privaten Mitteln der Fraktionäre, jeweils einen Ball spenden der Bezirksbürgermeister Dr. Christian Hanke, die Sportstadträtin Sabine Smentek und der Abgeordnete Thomas Isenberg. Die 15. Abt. der SPD spendet ebenfalls einen Ball. Wir sind damit zuversichtlich, für die drei weiteren Bälle auch Sponsorinnen und Sponsoren zu finden. Janina Körper wird entsprechende Akquise betreiben.

Der reine Trainings- und Spielbetrieb ist zukunftsorientiert ausgerichtet, das Turnier um den Bürgermeisterpokal nur ein Punkt der darauf deutet. Das Vereinsleben insbesondere in Sportvereinen scheint im gesellschaftlichen Wandel allerdings rückläufig zu sein. Diese Problematik betrifft nicht alleine den NNW, sondern alle Berliner Sportvereine. Wenngleich sich Fußballvereine immer noch auf Platz 1 hinsichtlich der Mitgliederzahlen im Vergleich aller eingetragenen Vereine befinden. Derzeit werden Möglichkeiten eruiert wie der SV Norden-Nordwest attraktiver und das Engagement im Vereinsleben neben dem Trainings- und Spielbetrieb verstärkt werden kann. Hinweis genug, um mal näher hinzuschauen wie sich das Vereinsleben entwickelt hat, ob und unter welchen Voraussetzungen nach zu steuern ist und was Kommunalpolitik für Grundlagen dafür zu schaffen hat bzw. überhaupt schaffen kann.

Ehrenamt im Verein

Lange Zeit wurde von Vereinsmeierei und Spießigkeit im Zusammenhang mit Vereinen geredet. Schwer, junge Menschen neben dem reinen Trainings- und Spielbetrieb für das aus ihrer Sicht veraltete Vereinsleben zu interessieren. Noch schwieriger gestaltet sich dies durch die heutige Anspruchshaltung bei der Werbung um Übernahme ehrenamtlicher meist unentgeltlicher Arbeiten im und für den Verein. Meist wird eine entgeltliche Gegenleistung erwartet, die Vereine grundsätzlich nicht oder nur bedingt erbringen können.

Der ehrenamtliche Einsatz im sportlichen Vereinsleben ist auffällig rückläufig und stellt die bekannten Vereinsstrukturen vor Gefahren. Es soll alles geboten werden, doch die Verantwortung dafür wird nicht übernommen. Selbstverständlich wird mit erhöhter Erwartungshaltung angenommen, wofür Andere Einsatz zeigen. Nur wenn es diesbezüglich an Nachwuchs fehlt, müssen sich zwangsläufig auch die Strukturen ändern. Vieles kann dann nicht mehr angeboten werden, was derzeit noch über das Ehrenamt geleistet wird. Auf den ersten Blick scheint die Ursache der fehlende Nachwuchs im ehrenamtlichen Vereinsleben zu sein. Demgegenüber nimmt allgemein die Bereitschaft zum Ehrenamt aber zu.

Wir erleben seit Jahren einen Vereinsboom; immer mehr Vereine sind in den letzten Jahrzehnten entstanden. Menschen engagieren sich u. a. im Sport, im Naturschutz, für Menschenrechte, im Chor, in Schulfördervereinen, Automobilclubs, Kaninchenzüchter-Vereinen. Durch die Vielzahl der Möglichkeiten sich zu engagieren, teilweise auch auf mehreren Gebieten, bleibt zwangsläufig an anderer Stelle mangels Kapazität etwas auf der Strecke. Die Konkurrenz ist groß, zu groß geworden. Nach Angaben der Amtsgerichte sind derzeit 580.000 Organisationen ins Vereinsregister eingetragen. Die Dunkelziffer ist laut Feststellung des Datenreports 2013 vom Statistischen Bundesamt hoch, soll um mehrere weitere Hunderttausend Vereinen liegen. Demzufolge hat sich die Anzahl der Vereine in Deutschland seit den 50iger Jahren versechsfacht.

Die Vielzahl der Möglichkeiten trägt gemäß Wissenschaftszentrum Berlin WZB dazu bei, dass Menschen schneller in Vereine ein-, aber auch wieder austreten. Neue Medien wie Facebook tragen dazu bei, dass immer wieder neue Trends aufgegriffen oder Möglichkeiten bekannt gemacht werden und Beständigkeit verhindert wird. Gerade junge Menschen reagieren auf neue Angebote und Trends. Die Schnelllebigkeit, der Wunsch, überall dabei sein zu wollen, erschwert den zusätzlich durchgehenden Einsatz im Ehrenamt. Der demografische Wandel schlägt sich überdies auch im Vereinsleben nieder.

Dies stützt auch die Annahme des Bundesfamilienministeriums. Während der Einsatz im Verein nach Angaben des Bundesfamilienministeriums zur Folge ab dem 30igsten Lebensjahr zunimmt und bei Seniorinnen und Seniorinnen am stärksten ist, ist der Einsatz bei Menschen unter 30 Jahren rückläufig. Untersuchungen haben ergeben, dass Gründe in stärkerer Inanspruchnahme durch Ganztagsschulen, verkürzten Abiturlehrgängen und erhöhten Einsatz im Studium und Berufsausbildung zu finden sind. Es bleibt jungen Menschen weniger Zeit. Schule, Ausbildung, Hausaufgaben, Beruf, Weiter- und Fortbildung, mehrere Jobs zugleich nehmen immer mehr zeitlichen Raum ein. Es ist nicht verwunderlich, wenn viele Menschen sich aktiv in Vereinen bewegen, für ein weitergehendes Ehrenamt aber weder Zeit noch Kraft vorhanden ist. Beschäftigungslosen Menschen hingegen fehlt oft das Geld um den Beitritt, die Mitgliedschaft zu finanzieren, oft fehlt aber auch der Ansporn. Älteren Menschen mit geringen Renten geht es ebenso. Hier reicht der Zeitfaktor alleine nicht aus. Vereinsleben muss auch finanzierbar sein und vor allem muss die Gesundheit die Teilhabe am Vereinsleben auch ermöglichen.

Auch die Zeit der Familiengründung darf nicht außer Acht gelassen werden. Während in vergangenen Zeiten die Berufstätigkeit bei einer Person im Familienverband vorlag, so arbeiten mittlerweile grundsätzlich beide PartnerInnen. Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss auch auf den Freizeitbereich ausgeweitet werden, denn hier bleibt viel auf der Strecke. Schichtarbeit, mehrere Beschäftigungen für ein auskömmliches Leben und Berufstätigkeit beider PartnerInnen verhindern oftmals weitergehendes Engagement. Wenn also noch die Mitgliedschaft in einem Verein möglich ist, so eben oftmals nicht der darüber hinausgehende Einsatz im und für den Verein.

Klar ist damit: Vereine boomen, Ehrenämter werden verstärkt übernommen und dennoch müssen gerade Sportvereine ihren Betrieb einstellen, diesen reduzieren oder fusionieren. Es ist ein mühseliger Akt einerseits Mannschaften aufzustellen, andererseits die Hintergrundarbeit bewältigen zu können, die ein Verein leisten muss um attraktiv zu bleiben. Dies alles angesichts der Tatsache, dass aufgrund der Fülle von Angeboten im Allgemeinen es mehr Vereinsmitglieder gibt, im einzelnen Vereinsleben aber Mitglieder, vor allem zahlende Mitglieder, fehlen. Es fehlen daneben TrainerInnen, SpielleiterInnen, SchiedsrichterInnen, BetreuerInnen, also Menschen, die neben dem Mitgliedereinsatz darüber hinausgehenden Einsatz zeigen.

Die Gründe für Notstände hinsichtlich des Engagements in Sportvereinen sind wie geschildert vielfältig. Es gilt zu überlegen unter welchen Voraussetzungen hier eine Umkehr bewirkt werden kann. Daneben ist zu klären, wo und wie kann Kommunalpolitik steuernd und unterstützend eingreifen kann? Klar ist, dass ein Umdenken in den Vereinen stattfinden muss, teilweise bereits erfolgt ist. Entsprechend flexibel sind viele Trainingszeiten gestaltet.

Zu hinterfragen ist, ob und ggf. wie eine Änderung der Vereinsstruktur oder Vereinssatzung Erfolge in der Rekrutierung für das ehrenamtliche Engagement möglich macht. Oftmals werden wenige Verantwortliche in Funktion gewählt, der Stundenumfang, den diese Funktion fordert, ist extrem hoch. Job-Sharing oder Teilzeitarbeit im Ehrenamt wären eine Möglichkeit das Stundenkontingent zu reduzieren und so Mitglieder mit wenig Zeit auch einbinden zu können. Auch Partnervereine im Zusammenspiel mit Schul-, Berufsschul- und Hochschulsport, mit Seniorinnen– und Seniorengruppen und Betriebssportgruppen wären eine Möglichkeit der Vernetzung und Mitgliederakquise. Mehr Mitglieder bedeutet höhere Chancen Ehrenamtliche zu gewinnen.

Das Image des Vereins spielt eine entscheidende Rolle. Eine gute Öffentlichkeitsarbeit ist daher ausschlaggebend wie ein Verein wahrgenommen wird und maßgeblich wie viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sich begeistern lassen. Der „Vereinskiller“ Internet im Hinblick auf ehrenamtliches Engagement kann umgepolt werden. Statt nur die festen Trainings- und Spielzeiten wahrzunehmen, könnten insbesondere Jugendliche mit ausgeprägtem Faible für Internet und Technik zur Vereinswerbung die neuen Medien im Ehrenamt für den Verein nutzen. Dies kann im Vereinshaus, am Spielrand, von jedem erdenklichen Ort geleistet werden. Fakt ist, dass so eine Vereinsbindung entsteht, über die sich Engagement verstetigen kann. Im Rahmen eines Projekts könnte auch eine Gruppe Jugendlicher den Internetaufbau neu kreieren und zukünftig pflegen, ggf. mehrere Verantwortliche in Teilbereichen.

Talente im Bereich der bildenden Kunst z. B. Zeichnungen, Spraybilder könnten für temporäres Engagement genutzt werden zur Verschönerung der Wände in den Einrichtungen des Vereins oder Plakatierung im Kiez. Möglicherweise ergibt sich darüber hinaus eine weitere Bindung: Stolz am eigenen Werk in Verbindung mit Lob und Anerkennung öffnet oft Tür und Tor für den Schritt ins Ehrenamt.

Wichtig für ehrenamtlichen Einsatz ist die Verknüpfung des Vereinssports mit der Jugendförderung und mit Schule sowie die Verknüpfung des Vereinslebens mit verschiedenen Freizeitangeboten je nach Altersgruppe, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Durch die Stärkung der Gemeinschaft wird grundsätzlich auch der Wille ehrenamtlicher Arbeit für einen reibungslosen Vereinsablauf geweckt. Wie dies wieder ermöglicht werden kann, könnte in einem Pilotprojekt eruiert werden. Zur Unterstützung dessen bedarf es der Analyse von Studienergebnissen über das Ehrenamt und das bürgerschaftliche Engagement in Sportvereinen Berlins oder im kleineren Rahmen des Bezirks.

Die Öffnung der Vereine für den Gesundheitssport könnte daneben eine neue Gruppe von Vereinsmitgliedern schaffen, um so den Mitgliederanteil zu erhöhen und daraus auch ein Mehr an Bereitschaft für die Übernahme eines Vereinsehrenamtes oder ehrenamtliches Engagement zu erreichen.

Der demografische Wandel sollte nicht gefürchtet, sondern genutzt werden, um die Personengruppe der älteren Menschen als Mitglied und im Ehrenamt zu gewinnen. Menschen älteren Jahrgangs sind heutzutage bis ins hohe Alter fit. Sie haben teilweise viel Zeit, sind unabhängig. Die bezirkliche Seniorenvertretung sollte als Bindeglied für Mitglieder und Ehrenamtsakquise genutzt werden.

Oftmals werden Kinder im Verein angemeldet, ohne dass die Eltern sich einbinden lassen. Die Gründe hierfür sind unterschiedlich, entsprechend reagiert wird teils aus Bequemlichkeit, teils aus Zeitmangel, teils aus Unkenntnis oder Schwellenangst. Es ist zu überlegen, wie die Elterngeneration mit einbezogen werden kann. Eltern einzubinden führt häufig dazu, dass Aufgaben im Sportverein übernommen werden. Je kleinschrittiger diese sind, umso besser. Dies trifft auf temporäre wie auch dauerhafte Aufgaben gleichermaßen zu.

Elternabende in Sportvereinen sind nicht üblich, sollten aber zur Kontaktaufnahme genutzt werden. Auch Angebote für die Eltern außerhalb einer Mitgliedschaft z. B. einmal jährlich ein Elternturnier kann weiterführendes Engagement initiieren. Ideen gibt es viele, ein Austausch dazu ist im Interesse der Sportvereine und der politischen Akteure notwendig. Mitglieder der SPD – Fraktion der BVV – Mitte streben den weiteren Austausch mit dem Vorstand des SV Norden-Nordwest 1898 über Möglichkeiten wie ehrenamtliches Engagement gewonnen werden kann an und werden unterstützend wirken so wie es möglich ist. Die Ergebnisse können Sogwirkung auf andere Vereine haben, so sie denn positiv sind.

 

Martina Matischok

26.06.2014

 

 
 

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