Anfragen in der BVV

0283/V - Sind die Instrumente des Mietrechts im Jobcenter und Sozialamt Hilfe oder unbekannte Wesen?

Drucksache 0283/V - Schriftliche Anfrage

09.01.2018

Sehr geehrter Herr Bezirksverordneter Hauptenbuchner,

namens des Bezirksamtes Mitte beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt:

Frage 1:

Inwieweit ist es zutreffend, dass Leistungsberechtigte nach SGB II und XII alles zu unternehmen haben, was ihre Hilfebedürftigkeit verringert?

Nach dem in § 2 Abs. 1 SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende) formulierten Grundsatz des Forderns müssen erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen.

Nach § 1 SGB XII (Sozialhilfe) soll die Leistung die Berechtigten soweit wie möglich befähigen, unabhängig von ihr zu leben. Darauf haben auch die Leistungsberechtigten nach ihren Kräften hinzuarbeiten. Zur Erreichung der Ziele haben die Leistungsberechtigten und die Träger der Sozialhilfe im Rahmen ihrer Rechte und Pflichten zusammenzuwirken. Es wird hier auf das Prinzip der Selbsthilfe der Leistungsberechtigten im Rahmen ihrer Möglichkeiten verwiesen. Im Umkehrschluss kann nichts von ihm verlangt werden, das seine Kräfte übersteigt.

Frage 2:

Welche Daten in Bezug auf die Wohnsituation Leistungsberechtigter liegen (a) dem Jobcenter und (b) dem Sozialamt vor, die notwendig sind zu überprüfen, ob der Vermieter des entsprechenden Haushalts gegen die Mietpreisbremse verstoßen könnte?

(a) Dem Jobcenter Berlin Mitte liegen die Angaben zu den jeweiligen Wohnsituationen lediglich in Form der meist standardisierten Mietverträge inkl. der aufgeführten Mietkosten (Grundmiete, Betriebskosten und Heizkosten) sowie ggf. Mieterhöhungen vor.

(b) Dem Sozialamt liegen bei bestehenden Mietverträgen zumindest immer die letzten Mieterhöhungen vor, aus denen eine mögliche unberechtigte Erhöhung der Miete abgeleitet werden kann. Bei Neuanmietungen liegen hingegen keine Angaben über die Höhe der letzten Miete des Vormieters vor.

Frage 3:

Welche der in 2 genannten Daten liegen im Jobcenter/ Sozialamt nicht vor und warum?

Zur Prüfung eines Verstoßes gegen die Mietpreisbremse werden grundsätzlich u.a. auch die folgenden Angaben benötigt:

  • wohnungsbezogene Angaben (u.a. Wohnlage, Lärmbelästigung, Alter des Gebäudes, Ausstattung) zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete und
  • die Höhe der Miete des Vormieters.

Die Angaben können bei Bedarf dem Berliner Mietspiegel entnommen werden (http://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/mietspiegel/index.shtml). Der Vermieter ist dem Jobcenter und Sozialamt gegenüber nicht auskunftspflichtig.

Dem Jobcenter Berlin Mitte und dem Sozialamt liegen diese Angaben in der Regel nicht vor, da sie keine Relevanz für das Prinzip der Bedarfsdeckung im Sinne des SGB II und SGB XII besitzen.
Die Ausführungsvorschriften zur Gewährung von Leistungen gemäß § 22 SGB II und §§ 35, 36 SGB XII im Land Berlin (AV-Wohnen) sehen keine Erhebung dieser Daten zur Prüfung eines Verstoßes gegen die Mietpreisbremse vor.

Frage 4:

In welchen Fällen weist das Jobcenter bzw. Sozialamt Leistungsberechtigte darauf hin, bzw. unterstützt diese sogar dabei, eine Verringerung ihrer Miete aufgrund eines Verstoßes gegen die Mietpreisbremse oder aufgrund von Mietwucher durchzusetzen bzw. durchzusetzen zu versuchen?

Der Abschluss eines Mietvertrages ist eine privatrechtliche Vereinbarung zwischen Mieter und Vermieter.
Die Leistungsberechtigten (Mieter) machen bei Antragstellung im Jobcenter Berlin Mitte bzw. Sozialamt den im Mietvertrag vereinbarten Mietzins als Bedarf der Unterkunft im Rahmen ihrer Leistungsansprüche nach dem SGB II und SGB XII geltend. Die Aufgabe des Jobcenters Berlin Mitte bzw. Sozialamtes ist es, die Höhe der Kosten für die Unterkunft nach den Angemessenheitskriterien der AV-Wohnen zu bewerten und dabei zunächst die tatsächlichen Aufwendungen des Bedarfs für die Unterkunft zu berücksichtigen, unter Umständen auch Mietkosten anzuerkennen, die gegen die Mietpreisbremse verstoßen.

Soweit die Zulässigkeit einer Mieterhöhung angezweifelt wird, werden die Leistungsberechtigten an eine freie Mieterberatung verwiesen.

Darüber hinausgehende Prüfungen oder die Einleitung rechtlicher Schritte für die Leistungsberechtigten können durch das Jobcenter Berlin Mitte und Sozialamt nicht vorgenommen werden. Ein solches Vorgehen würde auch den Willen der Leistungsberechtigten voraussetzen. Bei dem hier betreuten Personenkreis ist verständlich, dass aus Altersgründen, gesundheitlichen Gründen, Gründen der Langzeitarbeitslosigkeit und auch der Angst vor dem Verlust der Wohnung eine Aufforderung, rechtliche Schritte gegen den Vermieter vorzunehmen, an die Grenzen der Mitwirkungspflicht nach § 65 SGB I stoßen.

Darüber hinaus sind die Übernahme von Rechtsanwalts- und Gerichtskosten für private Rechtsstreitigkeiten, Mietrechtschutzversicherungen und Beiträge für Mietervereine in den Leistungskatalogen des SGB II und SGB XII nicht enthalten.

Frage 5:

Inwieweit wenden sich Leistungsberechtigte aktiv ans Jobcenter/ Sozialamt bei Mieterhöhungen, insbesondere wenn diese als nicht rechtens (bspw. aufgrund der Kappungsgrenze) eingeschätzt werden?

Im Jobcenter Berlin Mitte und Sozialamt sind derartige Fälle nicht bekannt. Eine statistische Erfassung erfolgt nicht.

Frage 6:

Inwieweit wurden in Mitte von Seiten des Jobcenters bzw. Sozialamts Umzüge verweigert mit Verweis darauf, dass eine in Frage kommende Wohnung gegen die Mietpreisbremse verstoße?

Im Jobcenter Berlin Mitte und Sozialamt sind derartige Fälle nicht bekannt. Im Rahmen eines angestrebten Wohnungswechsels erfolgt keine Prüfung hinsichtlich eines möglichen Verstoßes gegen die Mietpreisbremse. Auf die Ausführungen der Antwort zur Frage 3 wird hingewiesen.

Frage 7:

Inwieweit werden vorgenannte Fälle der Mietreduktion oder Nichtgenehmigung eines Umzugs aufgrund der vorgenannten Fälle im Jobcenter statistisch erfasst? Wie viele Fälle sind für die Jahre 2016/17 bekannt?

Im Jobcenter Berlin Mitte und auch im Sozialamt erfolgt keine statistische Erfassung entsprechender Fälle.

Frage 8:

Sofern hier keine Aktivität des Jobcenters / Sozialamts bei den Fragen 2-5 gemeldet werden: Wie verträgt sich dies mit der Antwort auf Frage 1?

Aufgaben und Ziele der Grundsicherung für Arbeitssuchende und der Sozialhilfe sind die Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens, die Beseitigung einer Notlage durch Deckung von Bedarfen für Unterkunft unter Beachtung der AV- Wohnen sowie die Sicherung eines angemessenen Wohnraums. Eine Prüfung, inwieweit angemessene Mietkosten mit der Mietpreisbremse divergieren, ist nicht Aufgabe des Jobcenters Berlin Mitte und Sozialamtes. Auf die Ausführungen der Antwort zur Frage 4 wird hingewiesen.

Frage 9:

Inwieweit findet bei Wohngeldanträgen eine Überprüfung dahingehend statt, ob Anhaltspunkte vorliegen, dass ein Verstoß gegen die Mietpreisbremse oder Mietwucher vorliegen könnte und mit welchen Folgen?

 

Eine Überprüfung bei Wohngeldanträgen findet aus den folgenden Gründen nicht statt.

  • Die Bearbeitung von Wohngeldanträgen erfolgt auf der Grundlage des Wohngeldgesetzes (WoGG). Es handelt sich hierbei um ein Bundesgesetz.

  • Das WoGG enthält keine Rechtsgrundlage zur Überprüfung der Mietpreishöhe.

  • Die §§ 9- 11 WoGG regeln, bis zu welcher Höhe eine Miete wohngeldrechtlich zu berücksichtigen ist.

  • Nach § 12 WoGG sind die Zahl der Haushaltsmitglieder ebenso entscheidungsrelevant wie die nach Einwohnerzahl und Mietniveau festgelegte Mietenstufe. Im Land Berlin gilt die (höchste) Mietenstufe. Die tatsächlich privatrechtlich vereinbarte oder geforderte Miethöhe ist bei der Wohngeldberechnung also nur soweit relevant, wie sie die wohngeldrechtlich zu berücksichtigende Höchstmiete entsprechend Mietenstufe 4 nicht überschreitet.

  • Das im Land Berlin zur Bearbeitung von Wohngeldanliegen verwendete IT- Fachprogramm „DIWO“ bietet – insoweit folgerichtig – keine Möglichkeit der Feststellung, ob im konkreten Antragsvorgang die für die Miethöhe geltenden Gesetze eingehalten werden.

  • Unabhängig von den vorstehend beschriebenen Möglichkeiten und Grenzen der Bearbeitung von Wohngeldanträgen ist der Bereich Wohnen im Amt für Bürgerdienste grundsätzlich für die Verfolgung von Mietpreisüberhöhungen zuständig. Im Hinblick auf die dabei gegebenen Möglichkeiten und Grenzen verweise ich auf die Beantwortung des Bezirksamtes zur DS 2030/ IV.

Mit freundlichen Grüßen

Stephan von Dassel

Bezirksbürgermeister

Fragesteller: Fraktion der SPD, Andreas Hauptenbuchner

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